Bericht über eine Reise durch die Jahrzehnte von einer friedlichen Kinder- und Jugendzeit in Riga, über fünf Jahre deutscher Soldat im 2. Weltkrieg, gefolgt von fünf Jahren Kriegsgefangenschaft in Sibirien und – endlich – über das Alltagsleben in der DDR bis zum Mauerfall 1989.
Bestellen Sie bei Ihrem Buchhändler vor Ort oder direkt bei: ISBN-10: 3755731878ISBN-13: 9783755731870
Das Buch
Geschichte wird immer neu geschrieben – wie die Ukrainekrise gezeigt hat, nicht immer zum Besseren. Zugegeben, es ist nicht immer leicht, die Lebensgeschichte dieses Mannes zu lesen, wenn nur ein paar hundert Kilometer entfernt in der Ukraine im 21. Jahrhundert wieder Bomben fallen und unschuldige Menschen ihr Leben verlieren, sowie es Arnold Reinschüssel auch am Beginn des 2. Weltkrieges dort erlebt hat. Umso wertvoller ist dieses Buch, sind die Erinnerungen von Arnold Reinschüssel: Sie erlauben einen Blick auf das Russland von damals, einem Vielvölkerstaat, dessen Bewohner aus mehr als 100 Nationen stammten.
Arnold Reinschüssels Autobiografie ist ein Rückblick. Beginnend mit den ungetrübten Jugendjahren in Riga begleiten wir den Autor trotz widrigster Umstände voller Hoffnung durch fünf Jahre als deutscher Soldat im 2. Weltkrieg und die nachfolgenden fünf vielleicht noch härteren Jahren in Kriegsgefangenschaft im eisig kalten Sibirien. Von der Hoffnung getragen, bald nach Hause zu seiner Familie zu kommen, ist man wie der Autor selbst emotional mitgerissen.
Immer fand Reinschüssel einen Weg aus seiner misslichen Lage, zögerte nie, hart zu arbeiten und für sich und andere einzustehen. Das zeigt sich auch in den späteren Jahren. Mit Humor und einem Schuss Ironie erzählt er von seinem weiteren Leben in der damaligen DDR, deren Aufbau und Verfall er hautnah miterlebt hat. Von seinen Träumen und Wünschen, die stets von einem Gedanken geprägt waren: Möge es mir und meinen Lieben gut gehen.
Eine klare Leseempfehlung für interessierte Leser, die sich nicht scheuen, einen Blick hinter die historischen Kulissen der Kriegsführung zu wagen. Gleichzeitig lernt man Demut und Resilienz, nach solch traumatischen Erlebnissen optimistisch und bescheiden zugleich nach vorn zu blicken – und auf Frieden zu hoffen.
Verfasst von Arnold Reinschüssel (Schwerin) bis 2002 (Schreibmaschinenmanuskript)
Scan, Übertragung in Word und erste Überarbeitung des Word-Manuskriptes - Erik de Place Andersen, Svendborg, Dänemark, im April 2017 und Januar 2019
Überarbeitung, Kürzung und Herausgabe – Peter Jagnow, Berlin, 2022
Hinweis: Das ursprüngliche Manuskript wurde um Passagen mit überwiegend persönlichen und familiären Inhalten gekürzt.
Der Autor
Lebenslauf
25.05.1922
geboren in Riga
Herbst 1939
Umsiedlung der Familie nach Bromberg
April 1940
Abitur in Posen, Reichsarbeitsdienst
Dez. 1940
Einberufung zur Wehrmacht, Ausbildung
eb. 1941
auf eigenen Wunsch Versetzung zu den „Brandenburgern“
22.06.1941
Teilnahme am Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion
12.11.1942
Verwundung durch Streifschuss am Kopf, Verlust des Sehvermögens auf einem Auge
Die Tatsache meiner Geburt beweist den Mut und Optimismus meiner Eltern, kam ich doch in einer schweren Zeit zur Welt, in der es kaum Perspektiven zu geben schien...
Nachdem der Gefechtslärm abgeebbt war, wagte sich auch die Zivilbevölkerung aus ihren Hütten und brachte uns in schweren, irdenen Krügen etwas zu trinken...
Kurz vor mir sackte ein Landsmann aus Mitau zusammen, der einen Schuss durch beide Unterschenkel erhalten hatte. Auf allen vieren versuchte ich zu ihm hinzukriechen...
An der Sperre fingen die ‚Kettenhunde’ (So wurden die Angehörigen der Wehrmachtsstreife wegen einer um den Hals getragenen Kette mit Schild genannt.) alle Wehrmachtsangehörigen ab ...
So verging ein Tag nach dem anderen und mich verließ das Gefühl für die Zeit. Ich begann abzustumpfen, mich in mein Schicksal zu ergeben und auf mein Ende vorzubereiten...
Es war schon Frühjahr 1946, als wir zum ersten Mal Zucker erhielten, also etwa neun Monate nach unserer Ankunft in Sibirien. Den Zucker hatten alle schmerzlich vermisst...
Mitte Dezember 1945, also gut sieben Monate nach Kriegsende, wurden im Lager die ersten Karten für einen Gruß an die Heimat verteilt. Das waren Karten des russischen Roten Kreuzes...
Als noch nicht ganz 18-jähriger hatte ich am 19. April 1940 mein Elternhaus verlassen. Nun sollte sich fast auf den Tag genau 10 Jahre später der Kreis schließen...
(Es bestand) ... eine unbefriedigende Versorgungslage, die dazu führte, dass Dinge nicht dann gekauft wurden, wenn man sie benötigte, sondern dann, wenn man sie gerade im Geschäft sah...
Auf der Rückfahrt wollten wir unserer Tochter noch Berlin zeigen und hatten uns für einige Nächte bei unserer dortigen Bekannten angemeldet. Am 12. August 1961 fuhren wir zum Wedding...
Da der Intershop-Handel ein äußerst lukratives Geschäft zu werden versprach, fanden die Vorschläge allgemeine Zustimmung und so galt es also die Vorbereitungen für eine baldige Eröffnung ...
Als Junge wünschte ich mir das Jahr 2000 zu erleben, denn dann müsse sicherlich etwas Besonderes passieren, auch wenn ich keine Vorstellung davon hatte was das sein könne...
Die Tatsache meiner Geburt beweist den Mut und Optimismus meiner Eltern, kam ich doch in einer schweren Zeit zur Welt, in der es kaum Perspektiven zu geben schien. Zwei Jahre vor dem 1. Weltkrieg, am 25. August 1912, hatten meine Eltern geheiratet. Bei ihrer Hochzeit war meine Mutter 19 Jahre alt, und hätte auch gern noch früher geheiratet, denn meine Eltern gingen schon eine Weile miteinander. Doch damals musste der Ehemann seine Frau auch "ernähren" können, wenn er sie heiratete, und dieses Kriterium erfüllte mein Vater erst, nachdem er eine Stellung in Riga angetreten hatte.
Als meine Schwester am 18. Oktober 1914 geboren wurde, stand das Zarenreich bereits im Krieg mit dem kaiserlichen Deutschland. Zu dieser Zeit war mein Vater Buchhalter in einer jüdischen Schuhfabrik in Riga, die 1917 vor den anrückenden deutschen Truppen mit dem gesamten Personal und Familienangehörigen nach Moskau evakuiert wurden. Dort erlebten meine Eltern die Revolution der Bolschewiken hautnah mit, und meine Schwester erblickte am 9. Dezember 1917 in Moskau das Licht der Welt, weshalb sie auch "unsere Bolschewikin" genannt wurde. Im Ergebnis der Friedensverhandlungen gelang 1920 die Rückführung der Familie und des Betriebes nach Riga, wo die Fabrik nach den Kriegswirren erst wieder neu aufgebaut werden musste. Unser Schicksal erschien noch völlig ungewiss; die Bolschewiken waren zwar mit Hilfe deutscher Einheiten wie der Eiserne Division und der 1. Garde Reserve Division (denen die lettische Regierung unter Ulmanis dafür Land zugesagt hatte, wobei sich später niemand an dieses Versprechen erinnern wollte), sowie von Freiwilligenverbänden der ansässigen Deutschen, deren Baltische Landeswehr auch am 22. Mai 1919 Riga von den Bolschewiken befreite, gerade aus dem Lande gedrängt geworden. Doch wusste niemand, ob sie nicht bald wiederkehren würden. Denn Lettlands großer Nachbar im Osten hatte schon immer begehrlich nach Westen geschielt, wo er einen direkten Zugang zur Ostsee erstrebte.
Hinzu kam, dass am 18. November 1918 die Republik Lettland proklamiert worden war, ein in sich noch völlig ungefestigtes politisches Gebilde, in dem die Letten, erstmalig in ihrer Geschichte die Staatsmacht bildeten. Es kam zu mehrfachen Übergriffen gegen die früheren "Herren" - die Deutschen - die zwar nicht direkt meine Eltern betrafen, aber doch die Zukunft nicht unbedingt rosig erscheinen ließ. In diese Situation wurde ich am Himmelfahrtstag, dem 25. Mai 1922, hineingeboren. Soweit ich mich erinnern kann, lebten acht Menschen in unserer Wohnung. Die sechs Räume waren damit gerade ausreichend für alle. Der jüdische Besitzer der Schuhfabrik, Leiser Hirsch Jakobson, hatte wohl bald die Bedeutung meines Vaters für den Betrieb erkannt. Jedenfalls bot er ihm eine Beteiligung an der Fabrik an und so wurde mein Vater kaufmännischer Leiter neben dem Sohn von Herrn Jakobson als technischem Direktor. Die Schuhfabrik entwickelte sich gut und ihr Hauptkunde wurde das Armee-Warenhaus in Riga - schon in den 30`er Jahren ein großer Komplex. Daraus ergab sich, dass ich Not in meiner Jugend nie gekannt habe. Als ich älter wurde, machten wir mit meinem Vater einige Mehrtageswanderungen durch verschiedene Gebiete Lettlands, kauften uns bei den Bauern frische Lebensmittel und übernachteten bei ihnen in der Scheune.
In der Ukraine
Seite 42
„Nachdem der Gefechtslärm abgeebbt war, wagte sich auch die Zivilbevölkerung
aus ihren Hütten und brachte uns in schweren, irdenen
Krügen etwas zu trinken – Milch, saure Milch oder Saft. Wir nahmen
alles dankbar an, denn wir waren durch die Hitze völlig ausgedörrt.
Wir aßen aber auch gern das Weizenbrot, das sie uns anboten, denn
unsere Feldküche hatte uns noch nicht gefunden und als wir zur Ruhe
kamen, meldete sich auch der Hunger. Wir wollten den Menschen
Geld geben, das sie aber nicht annahmen. Sie bedeuteten uns, dass sie
unendlich froh und glücklich seien, dass wir die Kommunisten vertrieben
hatten. Das Gebiet hier hatte ja bis 1939 zu Polen gehört und
wurde erst danach von der Sowjetunion besetzt. Dort lebten vornehmlich
Polen und Ukrainer. ….“
Verwundung
Seite 59/60
Kurz vor mir sackte ein Landsmann aus Mitau zusammen, der einen Schuss durch beide Unterschenkel erhalten hatte. Auf allen vieren versuchte ich zu ihm hinzukriechen, um ihm zu helfen, als ich selbst einen Schlag gegen den Kopf verspürte und nichts mehr sehen konnte. Mein erster Gedanke war: Du hast einen Kopfschuss und musst sterben! Der zweite Gedanke galt meiner armen Mutter. Vor einem Vierteljahr hat sie ihr Mann verloren und nun den Sohn. Ich legte mich auf den Rücken und erwartete mein Ende. Dann merkte ich aber, dass der Tod noch nicht kam, und mir fielen die beiden Verbandspäckchen ein, die jeder Soldat in seinem Waffenrock trug.
Ich holte sie heraus und wickelte erst das Kleine und danach das Große um meinen Kopf. Nun lagen wir beide da und konnten uns nicht helfen. Er konnte nicht laufen und ich nichts sehen. ... Ich weiß nicht, wie lange wir dort gelegen haben, plötzlich hörte ich das Rasseln von Panzerketten, das in unserer Nähe verstummte. Unsichtbare Hände packten mich, zerrten mich in ein Fahrzeug, die Tür knallte zu und der SPW (Schützenpanzerwagen) brauste mit uns beiden ab. Es tut mir unendlich leid, dass ich wohl nie erfahren werde, wer mir damals das Leben gerettet hat, denn ohne fremde Hilfe wäre ich da kaum herausgekommen. So aber hielt der SPW schon bald vor einem Truppenverbandsplatz, wo wir einem Arzt übergeben wurden. Ich blieb nicht lange auf dem Verbandsplatz, sondern wurde weitergefahren. Das wiederholte sich an diesem Tag noch mehrfach, sodass ich abends schon in einem Feldlazarett landete. Heute weiß ich auch, warum ich damals so ‚weitergereicht’ wurde, denn kein Arzt wollte sich mit Augenverletzungen befassen.
Ich hatte nicht, wie von mir vermutet, einen Kopfschuss an dem rechten Auge erhalten, sondern ich war von einer MG-Garbe erwischt worden. Durch die Prellung war auch das Auge blutunterlaufen und eine genaue Diagnose deshalb nicht möglich. Aus heutiger Sicht kann man wohl sagen, dass ich damals großes Glück gehabt habe, denn zwei Zentimeter weiter rechts und es wäre zu dem von mir befürchteten Kopfschuss gekommen. Meine Verwundung war für unseren Spieß Veranlassung, meiner Mutter ein herrliches Schreiben zu senden:
Im Felde, 14.11.1942
„Sehr geehrte Frau Reinschüssel!
Die Kompanie muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Sohn Arnold am 12.11.1942 durch einen Kopfschuss schwer verwundet wurde. Ein Grund zu ernsten Besorgnissen besteht aber nicht. Heil Hitler! A. B. Conrad (A.B.= Auf Befehl).“
letzte Kämpfe
Seite 76
An der Sperre fingen die ‚Kettenhunde’ (So wurden die Angehörigen der Wehrmachtsstreife wegen einer um den Hals getragenen Kette mit Schild genannt.) alle Wehrmachtsangehörigen ab und führten sie in eine in der Nähe gelegene Kaserne, denn der Standortkommandant hatte sich alle zur Verfügung stehenden Wehrmachtsangehörigen unterstellt und verpflichtete sie zur Verteidigung von Kreuz vor der anstürmenden Roten Armee. In der Kaserne wurden einige Panzerfäuste – u. a. auch an mich – ausgegeben. Andere Waffen gab es nicht. Wir wurden dann zu einer Wiese geführt, an deren Rand wir Stellung beziehen sollten. So grub sich jeder ein Loch zur Deckung und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
Was hätte er auch anderes tun sollen, denn zu dieser Zeit, Ende Januar 1945, konnten auch die größten Optimisten nicht mehr an die angeblich kriegsentscheidende Wirkung der angekündigten ‚Wunderwaffen’ und an den ‚Endsieg’ glauben. So hatte sich unter den Soldaten ein Fatalismus durchgesetzt. Unsere Ideale waren zerstört, der Krieg verloren. Also war nicht mehr Heldentum nachgefragt, sondern das eigene Überleben stand im Vordergrund.
Ankunft im Lager
Seite 82/83
So verging ein Tag nach dem anderen und mich verließ das Gefühl für die Zeit. Ich begann abzustumpfen, mich in mein Schicksal zu ergeben und auf mein Ende vorzubereiten. Wieder einmal hielt der Zug auf einem Bahnhof, aber diesmal wurden die Türen weit geöffnet und das Kommando ertönte „Alle aussteigen“. Da kehrten die Lebensgeister wieder zurück, jeder griff seine Klamotten und verließ mit einem Gefühl großer Freude den Waggon, in dem wir, wie wir später feststellten, sechs Wochen – von Anfang Juni bis Mitte Juli – zugebracht hatten! Zuerst schwankend – denn wir hatten in dieser Zeit nur sitzen oder liegen können – bewegten wir uns auf dem Bahnsteig und ordneten uns dann zu einer Kolonne, um in das Lager zu marschieren, das für eine ungewisse Zeit unser Domizil sein sollte. Unser Ziel, das Lager, bestand aus acht Erdhütten, die in zwei Reihen zu je vier Hütten hintereinander aufgebaut waren, sowie mehreren Baracken für Essraum, Sanitätsstube und Verwaltung.
Erster Zucker
Seite 95
Es war schon Frühjahr 1946, als wir zum ersten Mal Zucker erhielten, also etwa neun Monate nach unserer Ankunft in Sibirien. Den Zucker hatten alle schmerzlich vermisst, weil der Körper ihn brauchte, und ich habe immer wieder geträumt: Wenn ich jemals nach Hause kommen sollte, dann möchte ich als erste Mahlzeit eine große Portion Milchreis mit Zimt, Zucker und Backpflaumen! – Aber zurück nach Sibirien. Wohl weil wir den Zucker so lange hatten entbehren müssen, gab es als ‚Ausgleich’“ bei der morgendlichen Brotausgabe eine größere Portion, ich denke vielleicht 150 bis 200 Gramm pro Person. Ich war damals wieder einmal in der OK und brauchte also nicht zur Arbeit auszurücken. So nahm ich meinen Zucker in Empfang, tat ihn in ein Gefäß und deponierte dieses auf meinem Schlafplatz an der Kopfstütze.
Meine Absicht war, mir den mittäglichen Brei mit dem Zucker zu ‚versüßen’. Es dauerte eine Weile, bis ich zu der Überlegung kam, dass 150 bis 200 Gramm Zucker zum Mittagessen doch wirklich zu viel sei, ich könne doch ruhig vorher von dem Zucker probieren. Nachdem ich mich selbst von der Richtigkeit meiner Überlegung überzeugt hatte, begab ich mich zu meiner Schlafstelle, holte das Gefäß heraus, öffnete es und ‚kostete’ von dem Zucker. Danach verpackte ich den Rest wieder und ‚deponierte’ ihn an der gleichen Stelle. Es dauerte nicht lange, da zog es mich wie mit magischer Gewalt wieder zu meinem Schlafplatz hin: Eigentlich könnte ich doch noch einen Löffel probieren. Also wieder den Zucker ausgepackt, gekostet und danach den Rest zurückgestellt. Wie oft sich dieser Vorgang im Laufe des Vormittags wiederholt hat, weiß ich nicht. Sicher aber ist, dass ich den Brei zu Mittag ohne Zucker essen musste, weil das Gefäß mit dem Zucker wegen meiner vielfachen ‚Kostproben’ schon lange leer war!
Als ich nach meiner Entlassung mehr als vier Jahre später nach Crivitz (bei Schwerin/Mecklenburg) kam, stand dort ein großer Tonkrug mit Zuckerrübensirup, den meine Mutter in der schweren Zeit nach Kriegsende als Zuckerersatz gekocht hatte. Inzwischen gab es aber Zucker (auf Marken) zu kaufen und nun fand der Sirup keinen Abnehmer mehr. Nachdem ich den vollen Topf entdeckt hatte, ‚erbarmte’ ich mich seiner und leerte ihn Löffel für Löffel! Als ich das geschafft hatte, war mein Heißhunger aber gestillt und auch auf diesem Gebiet kehrte die Normalität wieder.
Erste Post nach Deutschland
Seite 97
Mitte Dezember 1945, also gut sieben Monate nach Kriegsende, wurden im Lager die ersten Karten für einen Gruß an die Heimat verteilt. Das waren Karten des russischen Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes mit einer anhängenden Karte für die Rückantwort. Doch nicht alle Lagerinsassen erhielten die Karten, sondern nur eine gewisse Anzahl, zu der ich aber nicht gehörte. Ein Kumpel in meiner Nähe gehörte zu den Glücklichen, konnte mit seinem Glück aber nichts anfangen, weil er nicht wusste, wo sich seine Angehörigen befanden. Nachdem ich das festgestellt hatte, war es für mich leicht, ihn zu einem Tausch – Tabak gegen Karte – zu bewegen.
So konnte ich am 19.12.1945 mein erstes Lebenszeichen nach Crivitz senden. Woher ich das so genau weiß? Meine Mutter hat alle meine Briefe vom Frühjahr 1944 bis zu meiner Heimkehr aufgehoben. In ihnen steht aber nichts von Hunger, Kälte und Angst, sondern nur von Filmen, Konzerten, einer reichhaltigen Bücherei und Ähnlichem. Warum auch nicht? Die Tatsache allein, dass ich in Sibirien war, sorgte schon für Frust. Den musste ich nicht noch durch mein Wehklagen erhöhen. Diese erste Karte, der im Laufe der Jahre noch viele weitere folgen sollten, war der Beginn einer, man kann schon sagen, festen Verbindung. Allmählich wurden die Bestimmungen für den Postverkehr gelockert und ich durfte auch Briefe schreiben und erhalten. Dadurch konnten mir auch Menschen schreiben, bei denen ich mich nicht melden konnte, die von meinen Angehörigen aber meine Anschrift erhalten hatten.
Fazit zur Kriegszeit
Seite 122
Als noch nicht ganz 18-jähriger hatte ich am 19. April 1940 mein Elternhaus verlassen. Nun sollte sich fast auf den Tag genau 10 Jahre später der Kreis schließen. Die Jahre, von denen man sagt, sie wären die schönsten im Leben eines Menschen, habe ich beim ‚Barras‘ verbracht. Soldat mit Leib und Seele war ich nie, kann – und will – diese Jahre aber auch nicht aus meinem Leben streichen, denn sie haben mich schon geprägt. Einige Erkenntnisse drängen sich mir im Rückblick auf die in Sibirien verbrachten 4 3/4 Jahre auf:
Trotz aller Widrigkeiten dort habe ich mehrere für mein späteres Leben wichtige Erfahrungen sammeln können.
Ich habe festgestellt, dass der Mensch viel mehr auszuhalten in der Lage ist, als er sich selbst zutraut.
Es ist im menschlichen Leben gut eingerichtet, dass man nicht in die Zukunft schauen kann.
Wenn ich im Sommer 1945 gewusst hätte, dass ich nach Sibirien kommen würde, dort fast fünf Jahre bleiben musste und was mich in diesem Land alles erwarten würde, weiß ich nicht, ob ich durchgehalten hätte. So aber hat mich die Hoffnung auf eine Heimkehr aufrecht erhalten, und mir die Kraft verliehen, um nicht wie so viele meiner Kameraden schlappzumachen.
„DDR-Versorgungslage“
Seite 134
(Es bestand) ... eine unbefriedigende Versorgungslage, die dazu führte, dass Dinge nicht dann gekauft wurden, wenn man sie benötigte, sondern dann, wenn man sie gerade im Geschäft sah. Mit anderen Worten, der Kauf der Weihnachtsgeschenke begann praktisch schon gleich nach Neujahr. Diese Tatsache bestimmte das Denken und Handeln vieler Menschen in der DDR, die dabei gut gefahren sind. Als logische Folge einer ungenügenden Versorgung führte sie zwangsläufig aber auch zu Hamsterkäufen und damit überhöhten Beständen in den Haushalten. Vom Prinzip her hat sich an dieser Situation bis zum Ende der DDR nichts geändert, auch wenn im Laufe der Zeit eine Besserung in der Versorgung zu verzeichnen war. Wochenspeisepläne aufzustellen war aber bis zum Schluss nicht möglich, weil man nie genau wusste, wann was im Angebot sein würde, mit Ausnahme der Grundnahrungsmittel.
Westberlin am 12. August 1961
Seite 167
Auf der Rückfahrt wollten wir unserer Tochter noch Berlin zeigen und hatten uns für einige Nächte bei unserer dortigen Bekannten angemeldet. Am 12. August 1961 fuhren wir zum Wedding. Damals waren die Petticoats groß in Mode – aber nur im Westen, denn der Osten tat sich schwer, die ‚dekadente‘ Mode der westlichen Länder zu übernehmen. In einem Laden erblickten wir wohl Hunderte von Petticoats. Unsere Tochter war von dem Anblick, der sich ihr bot, sichtlich beeindruckt und meinte nach einer kurzen Pause: „Hier gibt es aber mehr zu kaufen als bei uns.“ Sie durfte sich auch einen Petticoat aussuchen.
Am nächsten Morgen, es war Sonntag, der 13. August 1961, weckte uns unsere Gastgeberin mit der Nachricht, die Grenze nach Westberlin sei dicht. Niemand dürfe mehr hinüber oder herüber! Sie weinte, denn sie machte sich Sorgen um ihre Tochter, die sich in Westberlin befand. Sie lebte zwar bei ihrer Mutter, arbeitete aber im Westteil der Stadt und war mit dem dortigen Chef befreundet. Wie wir später erfuhren, gelangte die Tochter zurück in den Osten, packte alles Nötige zusammen und schaffte sogar wieder den Übertritt in den Westen. In den ersten Tagen war die Grenze wohl noch nicht ganz hermetisch geschlossen und bot deshalb für Ortskundige die Möglichkeit zum Übertritt. Die Nachricht schockte uns natürlich, ohne dass wir sofort ihre ganze Tragweite erkannten. Nach dem Frühstück beschlossen wir, uns erst einmal umzuschauen und die Lage zu erkunden. Auf der Friedrichstraße bot sich uns ein ungewohntes Bild: Kolonnen von Kampfgruppe-Angehörigen mit Gewehren bzw. MP1 marschierten auf der Straße in beiden Richtungen.
Es war so laut, dass unseres Bleibens hier nicht sein konnte. Wir beschlossen deshalb mit unserer Tochter Angela den Tierpark in Friedrichsfelde aufzusuchen und machten uns auf den Weg zum S-Bahnhof Friedrichstraße. Dort angekommen, bot sich uns ein Bild, wie ich es noch nie erlebt hatte. ...
Der erste Intershop *
Seite 206
Da der Intershop-Handel ein äußerst lukratives Geschäft zu werden versprach, fanden die Vorschläge allgemeine Zustimmung und so galt es also die Vorbereitungen für eine baldige Eröffnung im Reichshof zu treffen. Ein Raum, der für die zu erwartenden Umsätze ausreichen sollte, war bald gefunden, ein daneben liegender Lagerraum aber nicht vorhanden. Kein Problem. Bei einem monatlichen Umsatz bis 7.000 DM – von dem wir bei unserer Planung ausgegangen waren – musste auch ein Raum im Keller ausreichen. Geeignetes Personal wurde gefunden, das Mobiliar beschafft und die Ware bei einer Firma in Berlin geordert. Nach ihrem Eintreffen wurden alle Regale gefüllt und für den folgenden Tag die Eröffnung angekündigt. Am frühen Vormittag trieb mich die Neugierde zum Reichshof, wollte ich doch gern wissen, wie der Verkauf angelaufen war. Als ich das Haus betrat, bot sich mir ein Bild, das ich nicht in meinen schlimmsten Träumen für möglich gehalten hätte: Der ganze Raum vor der Rezeption war voller Menschen, die in den daneben gelegenen Verkaufsraum wollten, aber nicht hineingelangen konnten, weil dort die Menschen ‚wie die Heringe‘ standen.
Als ich mich schließlich dorthin durchgekämpft hatte, traf ich auf eine Verkäuferin, die schon ‚fix und alle‘ war, weil sie unmöglich diesem Ansturm gewachsen sein konnte. Auch zeigte sich, dass sich der Kaufwunsch der Massen auf wenige Artikel konzentrierte, die bereits zum Teil nicht mehr vorhanden waren. ... Die Quintessenz dieses ersten Tages war eine sofortige Personalaufstockung, denn eine Verkaufskraft war diesem Massenansturm nicht gewachsen und wir wollten ja alle Kunden zufriedenstellen und dabei möglichst viel Umsatz erzielen. Das ist uns auch gelungen, denn die Zuwachsraten im Intershop-Handel erreichten astronomische Höhen und auch die Erfüllung des Gewinnplanes war von diesem Tag an immer gesichert.
DDR-Intershop war eine Einzelhandelskette in der DDR, deren Waren nur mit konvertierbaren Währungen, später auch mit Forumschecks, jedoch nicht mit Mark der DDR bezahlt werden konnten. Ein unvermeidbarer Nebeneffekt war, dass der normale DDR-Bürger dadurch einen begrenzten Einblick in das Warenangebot des Westens bekam (aus Wikipedia)
Ein erfülltes Leben
Seite 236
Als Junge wünschte ich mir das Jahr 2000 zu erleben, denn dann müsse sicherlich etwas Besonderes passieren, auch wenn ich keine Vorstellung davon hatte was das sein könne. Nach 10 Jahren Krieg und Gefangenschaft (diese Jahre zählen doppelt) war mir jedoch klar, das würde ich nicht schaffen. Doch siehe da! – Ich habe das neue Jahrtausend erwarten können!
Wenn ich heute auf mein Leben zurückblicke, komme ich nicht um die Feststellung herum, dass es unendlich reich an besonderen Ereignissen war. Wer kann von sich schon behaupten, dass er nicht nur ein tausendjähriges Reich, sondern auch eine hundertjährige Mauer überlebt hat! Meine drei Visionen waren, dass Deutschland wiedervereinigt würde, die baltischen Staaten ihre Souveränität zurückerlangten und der Kommunismus abserviert würde. An die erste habe ich geglaubt, wusste aber nicht ob ich sie erleben würde. Die zweite wünschte ich mir sehr, glaubte wegen der Stärke der SU aber nicht so recht an ihre Realisierung. Alle drei gewünschten Ereignisse sind eingetreten! Mit Liesel können wir mittlerweile auf über 50 Jahre gemeinsamen Lebensweges zurückblicken. Natürlich hatte der auch Höhen und Tiefen (- man zeige mir die Ehe in der das nicht der Fall sein sollte), war insgesamt aber von Vertrauen, Eintracht und gegenseitigem "aufeinander zugehen" geprägt. So kann ich heute mit Fug und Recht von einem erfüllten Leben sprechen.
Bestellen Sie bei Ihrem Buchhändler vor Ort oder direkt bei: ISBN-10: 3755731878ISBN-13: 9783755731870